Ein Song, eine Hymne, ein Aufbruch, eine Ermutigung, eine Erinnerung: We are The People

Ich war lange nicht so mitgerissen, so begeistert und herausgefordert wie von diesem Lied: “We are the People” von dem jungen DJ Martin Garrix und den alten Musik-Legenden Bono und The Edge von U2. Das Lied zur Euro 2021, das Lied, das in den coronabedingt leereren Stadien gespielt werden wird und auf allen Radiosendern dauerhaft laufen wird.

U2 Sunday, Bloody Sunday – live at Red Rocks Music Festival

Warum sollte ein CVJM, eine christliche Gemeinschaft, dieses Lied hören? Ein Fußballlied. Jesus hatte doch 12 Jünger, nicht 11 Leute wie eine Fußballmannschaft, oder? Es ist kein Fußballlied. Ich beschäftige mich seit den 1980er Jahren mit den Liedern von U2, allen voran Sunday, bloody Sunday. Bono hat einmal gesagt: “This song is not a rebel song” – es geht ihm nicht um den “Blutigen Sonntag 1972“. U2 haben christliche Wurzeln – die letzte Liedzeile verrät uns mehr: “The real battle just begun, to Claim the Victory Jesus won – on a Sunday, bloody Sunday”.

Ich finde jede, jeder sollte das hören. Denn: es handelt von Glauben, von Hoffnung in unserer Situation. Es ist ein Aufbaulied und ein Hoffnungslied für die Zeit, in der wir uns befinden. Und und ich rede nicht nur von der Zeit nach Corona, sondern von der Zeit nach einem Brexit, einer Zeit des vielzitierten Versagens der europäischen Idee, eine Zeit der Rückkehr von nationalistischen Ideen, eine Zeit der verlorenen Narrative.

Was bietet dieses Lied an? Neue Metaphern, neue Bilder und immer wieder, wie bei Sunday, bloody Sunday, kommt durch, dass Bono “an den Wurzeln von Jesus” gepackt ist.

Im Glauben das richtige (Vor-)Bild

‘Cause you have faith and no fear `fore the fight
You pull hope from defeat in the night
There’s an image of you in my mind
Could be mad but you might just be right

Textzeile aus “We are the people” von Martin Garrix, Bono und Edge

Auch wenn diese Zeilen mit Kampf-Worten ausgestattet sind, so glaube ich, dass die Botschaft deutlich ist: Glaube, keine Furcht, wenn man mitten im “Kampf” steht. Aus der Niederlage kann man Hoffnung ziehen, singt Bono. Es sind bekannte Worte bei U2 – immer wieder singt und besingt Bono Jesus, der keine Angst vor seinem Weg hatte, der in der Nacht verraten wurde. Das “image of you in my mind” deute ich auf Jesus. Und ja: es ist ist “mad” diesen radikalen Messias vor Augen zu haben, aber es könnte “just be right” sein.

Die Menschen, auf die wir warten sind wir selbst

We are the people we’ve been waiting for
Out of the ruins of hate and war
Army of lovers never seen before
We are the people we’ve been waiting for
We are the people of the open hand
The streets of Dublin to Notre Dame
We’ll build it better than we did before
We are the people we’ve been waiting for

Textzeile aus “We are the people” von Martin Garrix, Bono und Edge

Im Refrain kommt der Aufforderungscharakter dann durch, aber auf eine Art und Weise, die ich vorher nur bei C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien kannte: sie haben gesagt, dass “sie die Geschichten wohl selbst schreiben müssen, die sie am liebsten lesen wollen”. Bono singt hier: “We are the People we’ve been waiting for” – “wir sind die Menschen auf die wir warten, die wir erwarten, aus all dem Hass und Zerbruch – eine Armee von Menschen, die Liebe als Zentrum haben. Manchmal denkt man: “kann nicht irgendjemand mal für Frieden in Palästina sorgen?” oder “darum müsste sich auch mal jemand kümmern, dass diese Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden” – der Appell ist: Wir selbst sind die Menschen, die wir uns wünschen, auf die wir warten.

Es geht weiter: “We are the people of the open hand” Wir sind die Menschen mit einer offenen Hand für den Nächsten. Egal ob in Dublin (Bonos Heimatstadt) oder Notre Dame (ich verstehe das Bild, aber finde es den unpassendsten Teil des Liedes: es sind Milliarden für die Restaurierung einer Kirche an Spenden eingegangen, während Menschen im Mittelmeer ertrinken). Gut ist, vor allem für diese anbrechende “nach Corona Zeit”: “wir bauen wieder auf, besser als zu vor!” Wir selbst sind die Menschen auf die wir warten, damit sie etwas tun. Ich verstehe es aber auch als zu-Mutung: wir können die Menschen werden, auf die wir warten!

Wieder ein Militär-Bild, aber “die Army of lovers” fasst das zusammen: eine ganze Armee, eine Menge, die liebt. Das ist das Leitbild für christliche Gemeinschaft schlechthin: Liebe für Gott, den Nächsten und sich selbst (Mt. 22).

Herzen, die wehtun sind gesund

Broken bells and a broken church
A heart that hurts is a heart that works
From a broken place
That’s where the victory’s won

Textzeile aus “We are the people” von Martin Garrix, Bono und Edge

Jetzt spätestens wird deutlich, dass hier niemand mehr vom Fußball singt: “kaputte Glocken und eine zerbrochene Kirche, ein Herz, das in dieser unserer Zeit schmerzt ist ein Herz, das noch richtig funktioniert und gesund fühlt.” Die Glocken der Kirchen, die einst Orientierung im Tageslauf gegeben haben, sind nutzlos geworden, die Kirchen haben ihren Platz verloren. Sinn-los. Menschen suchen in den Kirchen nichts mehr. Aber sie verstehen Menschen, die zu ihnen stehen, die ein weiches Herz haben. Und nach wie vor erreicht ein offenes Herz, ein liebendes Herz auch die die Herzen der Menschen. Und ehrlich: manchmal sind die rechtspopulistischen Parolen zum Weinen, zum Herz-Schmerz-fühlen. Aber mehr noch die unnützen Diskussionen über den “rechten Glauben” und die “Unfehlbarkeit der Schrift” unter den Glaubenden. “a heart that hurts is a heart that Works” sagt es: wenn Dein Herz wehtut anhand der Lage dieser Gesellschaft, dieses Europas, dann ist es gesund, dann schlägt es richtig. Gewinnen kann man nur an diesen Platz, an dem zuerst alles zerbrochen ist – und das erinnert an Sunday, bloody Sunday: “to Claim the victory Jesus won”, aber diesmal nicht triumphalistisch, sondern mit der Demut eines älteren Bono: Jesus ist zerbrochen. Unser Weg als Menschen geht wie seiner oft durch Zerbruch, durch Angst, durch Schmerz.

Dieses Lied drückt es aus: Glauben, Handeln und mit den anderen mitleiden

Für mich hat dieses Lied diese drei Elemente: Glauben haben in den schwierigen Zeiten. Glauben, der Hoffnung findet, auch wenn alles Hoffnungslos scheint. Dann Handeln: nicht auf andere Warten und sich am Kopf kratzen und sagen: “Kann sich jemand mal darum kümmern?” Wir selbst sind die Menschen, auf die wir warten. Und zum Schluss, gerade für die “broken church” so wichtig: Mitfühlen, mitleiden und erleben, wie aus Zerbrochenheit etwas Neues und Ganzes werden kann. Bin ich ein wenig idealistisch? Na klar! Bin ich naiv und blau-äugig so etwas zu schreiben? Sicher! Aber: dieses Lied hat etwas in mir geweckt: der Wunsch der Mensch zu werden, auf den ich warte. Der Mensch, der einen Unterschied macht für den Anderen. Mit dem (Vor-)Bild Jesu im Herz. Vielleicht weckt es auch etwas in Dir.