Serie: im Zwischenland (Teil 2)
Teil 2 – zwischen allen Seiten
Das ist der zweite Teil der Serie “Im Zwischenland” – den ersten findet ihr hier.
Ich habe mich schon öfter mal gefragt was in Mose vorgegangen sein muss, als er aufwuchs. Der Hof des Pharao. Privilegien und Pracht für den jungen Hebräer. Sein Volk war aber unterdrückt und musste hart arbeiten. Mose muss diese Zerrissenheit gefühlt haben. Dort in den Palästen, in den Tempeln und an den Baustellen der Ägypter. Zwischenland in reinster Form. Zu wem gehörte er? Er war von Geburt Hebräer, vom Aufwachsen her Ägypter, aber keins von beiden vollständig.
Zu der Zeit, als Mose groß geworden war, ging er hinaus zu seinen Brüdern und sah ihre Lasten und nahm wahr, dass ein Ägypter einen seiner hebräischen Brüder schlug. 12 Da schaute er sich nach allen Seiten um und als er sah, dass kein Mensch da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sande.
2. Mose 2,11-12
Ich finde den Satz: “da schaute er sich nach allen Seiten um” bezeichnend. Da ist er, Mose, mittendrin im Leid seiner Leute. Er hat mit Sicherheit die Stellung eines Adeligen gehabt, aber zugleich die Angst eines Sklaven. Das ist Teil dieses Zwischenlandes, in dem sich Mose befand. Zwischen den Stühlen, zwischen den Menschen, zwischen den Religionen. Ein einmaliger, aber auch einsamer Ort. Er will Gutes tun für den Hebräer und wird zum Mörder. Er empfindet die Behandlung seines Mit-Hebräers ungerecht, obwohl nach geltendem ägyptischen Recht ein Ägypter die Befugnis hatte einen Hebräer zu schlagen. Die Gerechtigkeit, der Mose folgt, ist aber höher als die Gerechtigkeit der Ägypter. Trotzdem muss Moses sich nach allen Seiten absichern, weil er zwischen allen Seiten steht.
15Als der Pharao von dem Vorfall erfuhr, wollte er Mose töten lassen. Mose aber floh vor ihm in das Land Midian. Dort setzte er sich an einen Brunnen, um auszuruhen.
2. Mose 2,15
In den nächsten Versen wird dieses Zwischenland noch klarer: Mose wird erst von einem Hebräer auf den Mord angesprochen und dann von Pharao verfolgt. Beide Völker verurteilen das Handeln Moses und so führt sein Weg wirklich in ein neues Land, ein Zwischenland, Midian. Und hier kommen wir zum ersten Mal zu einem positiven Aspekt: das Zwischenland Mose bietet ihm einen Platz zum Ausruhen an. Es gibt diese Plätze im Zwischenland. Die schlechte Nachricht ist: die Ruhe dauert nicht lange an und bringt Mose wieder in einen Konflikt hinein:
16Der Priester des Landes hatte sieben Töchter; die kamen zu dem Brunnen, um die Schafe und Ziegen ihres Vaters zu tränken. Als sie gerade die Tränkrinnen voll Wasser geschöpft hatten, 17kamen Hirten und drängten sie weg. Mose stand auf und nahm die Mädchen in Schutz. Er legte selbst Hand an beim Tränken der Tiere.
2. Mose 2,16
Mose ruht aus, aber wieder ist es ein Unrecht das ihn aus seiner Ruhe bringt: ihm unbekannte Frauen füllen die Schafstränken mit Wasser aus dem Brunnen. Diese Arbeit ist anstrengend, denn wahrscheinlich mussten die Frauen mit Eimern aus dem Brunnen schöpfen, um für die Tiere die Tränken zu füllen. Dann kamen andere Hirten und vertrieben die Frauen, um ihre eigenen Tiere trinken zu lassen. Das ist nur höchst unsolidarisch, sondern auch ungerecht. Das ruft Mose auf den Plan, der für die Frauen einsteht und sie verteidigt. Dann hilft er beim Tränken der Tiere mit. In seinem neuen Zwischenland, Midian, steht er weiter für Gerechtigkeit ein. Das ist ihm Wichtig. Wichtig genug, um seine Ruhe am Brunnen zu unterbrechen. Und so findet er ein Zuhause im Zwischenland.
18Als die Mädchen nach Hause zu ihrem Vater Reguël kamen, fragte er: »Warum seid ihr heute schon so früh wieder da?« 19Sie antworteten: »Ein Ägypter hat uns vor den Hirten in Schutz genommen. Er hat uns beim Tränken geholfen und sogar selbst Wasser geschöpft.« 20»Wo ist er?«, fragte Reguël seine Töchter. »Warum habt ihr ihn nicht mitgebracht? Holt ihn! Er soll mit uns essen.« 21Reguël lud Mose ein, bei ihm zu bleiben, und Mose war damit einverstanden. Der Priester gab ihm seine Tochter Zippora zur Frau. 22Als sie einen Sohn zur Welt brachte, sagte Mose: »Er soll Gerschom (Gast–dort) heißen, denn ich bin Gast in einem fremden Land geworden.«
2. Mose 2,18-22
Für uns unvorstellbar und sehr herausfordernd: Moses Einstehen für seine Werte, für Gerechtigkeit, bringt ihm eine Ehefrau ein: Zippora wird ihm zur Frau gegeben und sie haben einen Sohn, der symbolisch “Gast-dort” (Gerschom) heißt. Wenn das Zwischenland einen Namen hat, dann ist dieser sehr passend. Der Priester aus Midian mit dem Doppelnamen Reguël Jethro (üblich in der damaligen Zeit) war wahrscheinlich ein Priester Jahwes, der sich in Midian niedergelassen hat. So lernt Mose von Reguël Jethro im Zwischenland viel über die ursprüngliche Anbetung seinen Gottes, die Geschichten über die Entstehung der Welt und die Rolle von Abraham und der Erzväter. Mose brauchte das Zwischenland, um sich neu zu orientieren und das zu lernen, was er mitten zwischen den kulturellen Fronten in Ägypten nicht lernen konnte: seine Geschichte.
Was nehmen wir von diesem 2. Teil mit? Mose hat Werte – vor allem den Wert Gerechtigkeit. Egal ob in Ägypten oder Midian: er steht für diesen Wert ein. Darum muss er ins Zwischland Midian gehen, weil er weder bei seinem Volk, den Hebräern, noch bei seinem Adoptivvolk, den Ägyptern, Verständnis findet. Natürlich ist ein Mord, sei er auch im Wut-Affekt geschehen, immer ein Mord und Unrecht. Das Zwischenland bietet Mose aber Gelegenheit umzulernen, neu zu lernen. Und die Lektionen Midians werden für Mose wichtig werden: wie lebt man als Nomade? Wie kann man ein wanderndes Volk führen? Wer ist dieser Gott, dem Jethro dient? Mose findet seinen Glauben und lernt die Grundelemente seiner Religion im Zwischenland, in Freiheit. Das Zwischenland stellt auch uns die Frage: für welche Werte stehen wir ein? Und: an was Glauben wir? Lassen wir uns inspirieren und gehen neu auf die Suche.