Warteraum

Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten…

Apostelgeschichte 1,4a

Ich frage mich oft wie das so war. Zwischen Auferstehung und Pfingsten. Warten. Eine Zwischen-Zeit im wahrsten Sinne. Ich hätte da ehrlich meine Probleme gehabt mit dem Warten. Eingesperrt in dem Obergemach in Jerusalem. Alles wichtige war doch geschehen. Jesu letzte Woche. Das Abendmahl. Getsemaneh. Kreuz und Auferstehung. Alles was damals die Revolution war. Das Neue, das Wunderbare und Schreckliche, das Hoffnungsvolle und die Leere. Achterbahn der Gefühle und dann.

Warten.

Da kommt etwas. Da verändert sich etwas. Ungesehen. Unbemerkt. Wie Gott das öfter schon mal macht. Im Warten. Die äußere Situation hat sich nicht verändert, übrigens. Da war immer noch ein zum Tode verurteilter, hingerichteter Jesus, Gerüchte über eine Auferstehung, aber wenn man zu seinen Jünger zählte, wollte man sich nicht blicken lassen. Man denke mal darüber nach: die Osterhoffnung im Herz, den Auferstandenen getroffen haben und dann.

Warten.

Während ich diese Zeilen schreibe spüre ich meine eigene Ungeduld wachsen. Das kann doch nicht wahr sein! 120 Personen zusammen, sie können die Geschichten von Jesus erzählen. Viele haben eine. Menschen um sie herum, die Hoffnung brauchen, die leiden und sich nach einem Eingreifen Gottes sehnen. Und die Nachfolger Jesu sitzen in einem Raum können, wollen, dürfen nicht raus. Gefangen, aber freiwillig. Gebunden ohne Fesseln.

Warten.

Ich finde das eine Zumutung. Aber eine Zumutung ist immer eine Zu-Mut-ung. Da mutet Jesus seinen Jüngern eine Wartezeit zu. Er begegnet ihnen. Die Gespräche in dem Warte-Raum Obergemach stelle ich mir spannend vor. Sehnsuchtsvoll. Vielleicht auch manchmal schwer zu ertragen oder immer wiederholend das Gleiche sagend. Ich bin ehrlich: manchmal habe ich Angst davor, dass diese Wartezeit in der wir uns gerade befinden eine Wartezeit auf dem Abstellgleis ist. Oder eine dieser Wartezeiten beim Arzt, wo man sich nach 60 Minuten fragt: “soll ich nochmal Bescheid sagen, dass ich immer noch warte?” und es dann doch nicht macht. Bin ich vergessen worden? Warum ruft mich keiner auf? Ich will ja hier nicht unnötig dramatisieren, aber es fühlt sich sehr lange an, unsere Wartezeit in diesem 2. Coronajahr. Mir hilft: wir sind geschichtlich gesehen in guter Gesellschaft. Nachfolger Jesu hatten immer Wartezeiten. Ich hoffe darauf, dass das Ende der Wartezeit nicht auf dem Abstellgleis enden wird, sondern in einem Fest. Damals, in Jerusalem, in diesem besonderen Warte-Raum hat es ein Fest zum Schluss gegeben. Das wünsche ich mir auch: ein Fest, wenn die Wartezeit vorbei ist. Und dann einen Neuanfang. Du auch?

Licht

Ein kurzer Ostergruß: Jesus ist wahrhaftig auferstanden!

Warten

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Ostersamstag. Wie wacht man auf, wenn man am Tag vorher jemanden verloren hat? Wie mussten die Jüngerinnen und Jünger Jesu an diesem Tag aufgewacht sein? Der biblische Bericht gibt uns keine Anhaltspunkte dazu. Der Moment an dem Mensch die Augen aufschlägt und feststellt: “Es ist wirklich passiert” Gestern ist der Mann, mit dem wir Jahre unseres Lebens verbracht haben an einem Kreuz gestorben. Er liegt in einem Grab. Unsere Hoffnung ist dort, mit ihm.

Sie konnten sich draußen nicht sehen lassen. Nicht in Jerusalem. Nicht einen Tag nach der Kreuzigung. Petrus hat das durchgemacht: sie konnten erkannt werden. Man hörte an ihrem Akzent: “das sind doch welche aus Galiläa! Die waren doch bei diesem Jesus, den sie gestern hingerichtet haben!” Die Angst steigt hoch, starke Gefühle mit ihr. Die Wut, die aus der Ohnmacht kommt. Und die Gewissheit: nichts wird wieder so, wie es war. Und es war doch. Wirklich. Gott in unserer Mitte. Jeschua – Gott mit uns. Das hatten sie doch erlebt. Oder? Oder?

Wie konnte das passieren? Alles lief so gut. Begrabene Hoffnung macht Platz für sengenden Zweifel. Nagend, bohrend. Alles umsonst? Ich stelle mir die ersten Minuten nach dem Augenaufschlag am Tag nach der Kreuzigung so vor. Was sagt man zueinander nach dem Zerbruch eines Traums? Wie steht man auf, wenn man keine Hoffnung mehr hat?

Der Ostersamstag 2021 ist ein Tag für die von einer Pandemie geschunden Menschheit. Viele Träume sind geplatzt. Viel Hoffnung enttäuscht. Unsere Pläne durchkreuzt und wir warten. Banges Warten. Vielleicht sind wir wütend oder “Mütend” wie es manche sagen. Müde und Wütend zusammen. Müde vom Warten. Von den schlechten Nachrichten. Vielleicht ist jemand gestorben an COVID-19, vielleicht ein “es” wie ein Laden, eine Arbeit, ein Lebenstraum. Es ist Ostersamstag. Auch für uns heute. Was tun wir anhand der Nachrichten, der Berichte, der Inzidenz?

Ich glaube irgendwann haben die Jünger Frühstück gemacht. Dann gab es Brot und Tränen. Dann ein Schluck zu trinken und vielleicht eine Geschichte. Von ihm. Vielleicht gab es ein gutes Wort, eine sanfte Erinnerung. Und dann wieder: Tränen. Die Jüngerinnen und Jünger haben schon oft geteilt, was sie hatten. Heute ist es ihre Trauer, ihre Ohnmacht und ihre Wut. Die Hoffnungslosigkeit und das Brot, das noch übrig war. Sie wussten nicht auf was sie warteten, aber sie warteten gemeinsam an diesem Sabbat, diesem Ruhetag. Irgendwann am späten Nachmittag, als die Sonne schon am untergehen war, suchten ein paar Frauen mit Tränen in den Augen die Salben, die man einem Toten aufträgt als letzte Ehre. Sie rochen würzig, nach Tod, aber zugleich auch stärkend und kraftvoll. Die Gefäße mit dieser kostbaren Flüssigkeit in der Hand gingen sie zu Bett, denn morgen, ja morgen wollten sie ihren Herrn verabschieden. Dann schluckten sie und weinten. Morgen ist es dann zu Ende, oder?

Vielleicht ist dieser Ostersamstag der Tag an dem Du teilst, was Du hast. Vielleicht sogar Deine Tränen, deinen Wut und Deine Verzweiflung. Die Dinge, die du normalerweise nicht teilen würdest.

Wir sind doch stark, wir halten durch. Oder? Wir schaffen das, oder? Ich habe genug von Durchhalteparolen. Von “Krise ist Chance”. Heute ist Warte-Tag. Teile-Tag. Ostersamstag. Ich fühle mich heute nah bei den Jüngerinnen und Jüngern damals.

Mahl

Leonardo da Vinci letztes Abendmahl (Gemeinfrei)

Es war ein besonderer Abend: Jesus saß in einem Gemach mit seinen Jüngern. Vor ihnen das Passahlamm. Um sie herum Jerusalem. Die Stadt Davids, die jetzt eine Stadt Roms geworden war. Das römische Weltreich. Soldaten. Eine Bedrohung und noch dazu: in den vergangenen Jahrhunderten unbezwungen. Die Leute waren sich bewusst: wir sind nicht frei, auch wenn wir nicht im Gefängnis sitzen. Eine fremde Macht hat ihre Stellungen in unserer Stadt aufgebaut.

Ich frage mich, was die Jünger dachten. Nach dem Einzug. Jesus wirkt in den Evangelienberichten zumindest nachdenklich, wenn nicht sogar traurig. Er weiß was ihm bevorsteht. Für die Jünger ist die Zukunft unklar, ungewiss. Es hat etwas Geheimes und dennoch vertrautes. Wie fühlt es sich wohl an das Fest der Befreiung aus Ägypten zu feiern, wenn man unter Fremdherrschaft lebt. Wenn man jeden Tag römische Soldaten mit ihren beschlagenen Schuhen auf dem Pflaster von Jerusalem marschieren hört. Sie essen Schweine. Ganz anders das Lamm von dem Befreiungsfest. Kann man das noch glauben nach fast 2 Jahrhunderten Besatzung? “Gott hat uns aus Ägyptenland gerettet, er wird auch jetzt wieder eingreifen, er wird retten!” Wie kann man daran festhalten?

Die Jünger halten ihren Bissen Brot in der Hand, sie essen gemeinsam. Jesus deutet das Passamahl um und spricht von seinem Blut und seinem Körper. Ich glaube nicht, dass sie verstehen. Aber sie ahnen. Ich glaube, dass das Jünger ausmacht: sie ahnen und arbeiten mit ihrer Ahnung. Etwas großes passiert hier. In der besetzten Stadt, mitten in einem Raum im Jerusalem. Der stille König beginnt sein Befreiungswerk. Und es wird anders sein als die Aufrührer und Rebellen vor ihm. Er wird nicht weniger tun als die Welt befreien, den Weg zum Vater öffnen. Gott wird wirklich befreien, aber anders als geplant.

Der Bissen, die Ahnung, der Abend. Das Mahl. Alles fliesst ineinander in dieser Nacht und verschwimmt in der Dunkelheit von Getsemaneh. Jesus weiß. Er geht einen Weg, den er nicht gehen wollte, aber musste.

Wenn ich an dieses Mahl denke, dann fallen mir viele Gespräche ein. Mit Menschen, die nicht frei sind. Die sich sehnen und suchen. Vielleicht mancher, der in dieser Pandemie denkt: ich will frei werden. Ich will frei sein. Es ist doch nicht lange her, dass wir frei waren. Wir wollen nicht unter der Herrschaft eines Virus stehen. Wir wünschen uns, dass uns jemand hilft und befreit. Wir sind müde geworden. Die Botschaft dieses Abendmahls lautet: Gott rettet. Gott hört. Gott ist wach. Gott hilft. Es gibt ein “aber”. Aber zu seiner Zeit. Auf seine Weise, mit seinen Mitteln und in seiner (Ohn-) Macht. Morgen ist Karfreitag.