Das Normale über Menschen und Jesus: der Ukrainekrieg und die Osterhoffnung
Ich gebe zu: ich habe lange gebraucht, um Worte zu finden für den Krieg den wir derzeit erleben. Mein Gefühl dabei war: aus der Pfanne ins Feuer. Von der Pandemie in den europäischen Krieg. Ich musste erstmal inne halten. Ich habe drei Themenfelder identifiziert, die ich gern dazu bearbeiten möchte:
Krankheiten und Krieg in der Bibel: das Normale
Ein einfacher Blick in die biblischen Berichte zeigt: für den Menschen, deren Geschichten in der Bibel überliefert werden, sind Krankheiten und Krieg kein Ausnahme- sondern der Normalzustand. Die hygienischen Verhältnisse, die mangelnde, medizinische Kenntnis, der regelmäßige, regionale Austausch der Nationen macht die Verbreitung von Krankheiten unvermeidlich, vor allem von ansteckenden Krankheiten. Eine der wenigen direkten Maßnahmen, die das Volk Israel als Gegenmittel kennt ist die Isolierung der/des Kranken, d.h. ihr oder ihm wurde der Zugang zur Sozialgemeinschaft verwehrt. Das hatte weitreichende Folgen für die Sicherheit der Erkrankten und auch für ihren Glauben: sie durften auch nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen. Krankheit, Ansteckung, Leid und Tod im Zusammenhang mit Krankheiten war für die Menschen damals an der Tagesordnung.
Die Kriege aufzuzählen, die in den biblischen Berichten vorkommen, würden den Rahmen hier völlig sprengen. Einige wenige: Davids Feldzüge gegen die Philister, die Grenzkriege mit Ägypten, die Kriege im geteilten Königreich und noch viele mehr – an 450 Stellen im Alten Testament ist von Krieg die Rede (aus Gründen der Lesbarkeit verweise ich auf den verlinkten Artikel für die biblischen Belege). Man kann mit Fug und Recht davon sprechen, dass “Krieg eine Konstante in der altorientalischen Geschichte” ist. Bezeichnend ist dabei, dass das Ende eines Krieges oft mit der Rückkehr der Soldaten beschrieben wird, aber selten mit “Frieden”. Nach dem Krieg war für die Menschen des alten vorderen Orients vor dem Krieg. Und: von Gräueltaten wird dabei immer wieder berichtet. Krieg bedeutet zu allen Zeiten Leid für alle Menschen, besonders für Frauen und Kinder. Es sei nur darauf hingewiesen, dass das Volk Israel selbst Opfer von Kriegshandlungen ist, aber auch durchaus von Gott angeordnet zum Kriegstreiber wird (vor allem unter König David).
Jesus ist sich dieser Situation bewusst. Ich möchte hier nur auf die Geschichte des Einzugs Jesu nach Jerusalem (z.B. Lukas 19,28ff) Bezug nehmen: Jesus kommt nicht im Triumphzug, sondern als demütiger König auf einem jungen Esel. Er stellt die Erwartungen der Menschen an einen gewaltsamen Einmarsch auf den Kopf und verkörpert so eine Botschaft des Friedens. Die an gewaltsame Aufstände gewöhnten Römer schreiten nicht ein. Offenbar verstehen die Gegner und Besetzer die Friedsbotschaft Jesu besser als sein eigenes Volk, das innerhalb weniger Tage die gewaltsame Tötung Jesu verlangt.
Die NATO, Russland und die Ukraine: über Menschen
Und was in der damaligen Zeit das römische Großreich, Ägypten und Assur waren, das ist heute die NATO, Russland und die Ukraine, aber nur im Bild gesprochen – so vergleichbar sind die Situationen eben doch nicht. Daher einige, wenige Worte zur konkreten Situation heute. Vor der Wiedervereinigung gab es Gespräche zwischen den USA, der Sowjetunion und Deutschland. Es ging um die Bedingungen, unter denen die Sowjetunion der Wiedervereinigung Deutschlands zustimmen würde. Eine der Bedingungen sei gewesen: keine Osterweiterung der NATO. Das ist durch unterschiedliche NATO Beitritte (den derzeitigen Stand kann man hier einsehen) über die Jahre aufgeweicht worden. Russlands Präsident Putin wertet das als Bedrohungslage, auch wenn es keine darstellt. Ist das ein Grund für den Angriff auf die Ukraine? Auch durch die verübten Gräueltaten, wie die Hinrichtung und Russlands Weigerung humanitäre Korridore zu schaffen entsteht eher der Eindruck, dass Putin und seine Regierung die Ukraine selbst auslöschen will. Wie kann das sein? Wir leben doch im 21. Jhd. haben die United Nations und solche Dinge überwunden. Das zumindest ist der Eindruck der vergangenen Jahre. Einzelne Akteure oder Netzwerke verüben Terroranschläge, aber insgesamt war der Eindruck: wir bewegen uns von Kriegshandlungen auf Staatenebene weg, auch wenn das eher täuscht. Europa war lange nicht mehr Schauplatz von kriegerischen Handlungen, aber weltweit gibt es auch vor dem Krieg in der Ukraine 31 aktive Kriegsschauplätze. Ich glaube hier liegt ein Wunsch obenauf – wir wünschen uns den edlen, hilfreichen und guten Menschen der Aufklärung (von Goethe hier in Gedichtform zusammengefasst), wir wünschen uns, dass es keine Diktatoren gibt, keine Staaten, die Gewalt für ein richtiges Mittel der Machtausübung halten. Menschen, so scheint es, sind aber nicht so, wie wir sie uns wünschen, sondern so, wie sie sind.
Leben, Leiden und Wieder-Aufstehen: Jesus
Und da ist etwas sehr, sehr wichtiges, das wir lernen dürfen, sollen, ja müssen. Jesus hat in einer Gewalt-reichen Welt gelebt. Die Besetzer durften jederzeit ihre Untertanen zu Arbeiten zwingen, sie schlagen (Mt 5,38-42), Zölle abpressen (Mk 2,15-17) und zugleich waren sie Handelspartner, Arbeitgeber (Mt 5,11) und Regierungschefs (Mt 27,1-14). Jesus lebt in dieser Welt, arbeitet für die Römer, sieht die Soldaten auf Patrouille gehen, hört seine Landsleute über die Zölle klagen und von den Kriegshandlungen der Römer im Osten und in Afrika. Und von den blutigen Antworten der Römer auf Aufstände. Der “Pax Romana”, der “römische Frieden” war teuer erkauft. Jesus kannte keine Freiheit. Sein Leben, wie das Leben seiner Landsleute, war geprägt von der Unfreiheit der Unterworfenen. Und dann ging es weiter. Gerade jetzt, in der Karwoche, erinnern wir uns als Christen an Leben und Leiden Jesu. An die Fragen, die er stellte, die Themen, die er wählte. “Soll man dem Kaiser Steuern zahlen?” “Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser ist und Gott, was Gottes ist” (Lk. 20,20-26), und dann, mittendrin in seinem Leben, die Frage nach dem höchsten Gebot.
»Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« (5. Mose 6,5). 38 Dies ist das höchste und erste Gebot. 39 Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). 40 In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.«
Matthäus 22
Inmitten dieser Situation sagt Jesus: Liebt. Und solche steilen Sätze wie “niemand hat größere Liebe als derjenige, der sein Leben für seine Freunde lässt” (Joh 15,13). Das ist Jesus. Und er tut es dann. Er lebt es vor und das ist das eigentliche in dieser Zeit: Liebe steht wieder auf. Sie ist nicht tot zu kriegen. Weil er die Liebe selbst ist. Ich verstehe das alles nicht auf intellektueller Ebene und viele Theologen haben sich an Kreuz und Auferstehung versucht. Wie kann Gott sterben? Warum musste er Die Welt mit sich selbst versöhnen – warum dieser Weg und kein anderer Weg? Das habe ich erst jetzt auf Instagram gelesen. Wie kann die Liebe selbst sterben? Erklären kann ich es nicht, aber Anerkennen, Durchleiden und dann, irgendwann, nach der Nacht, den Morgen feiern. Liebe, Jesus Christus, wahrer Mensch, wahrer Gott, bleibt nicht im Grab, er lebt und lebt weiter in seinem Leib, seiner Gemeinde, in Dir und mir. Am Ende ist es immer das Leben, das Leiden und Wiederaufstehen Jesu, das mich weiter leben, weiter lieben und weiter hoffen lässt. Trotz der Gewalt, trotz Krieg, trotz der großen Selbstzerstörungskraft der Menschen. Osterhoffnung. Die wünsche ich Dir mitten in dieser Zeit.